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Bund muss Notbremse ziehen: Deutschland braucht ein „Konjunkturprogramm Wohnen“
Um die dazu notwendige Finanzierung zu schaffen, solle der Staat das Hinterziehen von Steuern intensiver verfolgen. Den durch Steuerhinterziehung entstehenden Schaden schätze der Bundesrechnungshof auf immerhin 30 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr.
„In Deutschland fehlen 540.000 Wohnungen. Außerdem droht dem Bau eine handfeste Krise. Eine groß angelegte Wohnungsbau-Offensive ist dringend notwendig, um die dramatische Wohnungsnot endlich wirksam zu bekämpfen und um gleichzeitig die schwächelnde Wirtschaft zu beleben. Es kommt jetzt darauf an, den Wohnungsbau als Konjunkturmotor in der Krise zu nutzen“, sagt der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger.
Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten sieht in einem „Konjunkturprogramm Wohnen“ zudem ein deutliches Signal an die Bevölkerung: „Die Wohnungsnot wird von Tag zu Tag schlimmer. Und die Mieten gehen weiter steil nach oben. Allein die von den Job-Centern gezahlten Kosten der Unterkunft, bei denen es um das untere Marktsegment geht, sind in den vergangenen 9 Jahren bundesweit im Schnitt um 41 Prozent nach oben gegangen. Zum Vergleich: Die Verbraucherpreise sind in dieser Zeit um 26 Prozent gestiegen. Das rasante Ansteigen der Mieten hat viele Haushalte in enorme Schwierigkeiten gebracht – sie haben sich finanziell ‚blank gemietet‘. Es muss also dringend etwas passieren. Die Menschen warten darauf. Bei den 540.000 Wohnungen, die aktuell fehlen, geht es im Grunde ausschließlich um bezahlbare Wohnungen und um Sozialwohnungen. Da haben wir die Akut-Not.“
Im Fokus eines „Konjunkturprogramms Wohnen“ müssen deshalb, so IG BAU und Mieterbund, der soziale Wohnungsbau und das bezahlbare Wohnen stehen. Aber auch die Bildung von Wohneigentum sei wichtig und als weitere, dritte Säule des Wohnungsneubaus notwendig. Insgesamt sei dafür die staatliche Förderung von 20 Milliarden Euro pro Jahr durch den Bund und die Länder erforderlich. 17 Milliarden Euro davon müsse der Bund investieren – und damit 13,5 Milliarden Euro mehr, als er bislang für den Neubau von Wohnungen im kommenden Jahr bereitstellen will. Das geht aus Berechnungen hervor, die das Pestel-Institut im Auftrag der IG BAU und des Mieterbundes gemacht hat. Die Wissenschaftler haben dabei die notwenigen Rahmenbedingungen für ein „Konjunkturprogramm Wohnen“ untersucht.
Das größte Investitionsdefizit des Staates gibt es nach Berechnungen des Pestel-Instituts beim Neubau von jährlich 100.000 Sozialwohnungen. Hierfür müsse der Staat 13 Milliarden Euro pro Jahr bereitstellen. 10 Milliarden Euro müssten dabei vom Bund kommen. Dieser habe für das kommende Jahr allerdings lediglich 3,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen.
Den Neubau von jährlich 40.000 bezahlbaren Wohnungen müsse der Bund mit 3,5 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr fördern. Die gleiche Summe sei noch einmal für die Bildung von Wohneigentum erforderlich. Hier geht es nach Angaben des Pestel-Instituts konkret um 80.000 Eigentumswohnungen und Häuser, die pro Jahr für Haushalte neu gebaut werden sollten, die dort anschließend selbst einziehen.
„Ein ‚Konjunkturprogramm Wohnen‘ wäre ein entscheidender Beitrag, um in der aktuellen Krise der Wirtschaft in Deutschland neuen Schwung zu geben. Außerdem würde es gelingen, einen drohenden massiven Arbeitsplatzabbau abzuwenden. Und vor allem wäre eine Neubau-Offensive die effektivste Maßnahme gegen die dramatische Wohnungsnot in Deutschland“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.
Dramatisch sei zudem der Rückgang beim Neubau von Wohnungen. Das Pestel-Institut warnt: „Mit dem Wohnungsbau geht es rapide bergab. Seit zwei Jahren ist der Neubau im Sinkflug. Und aktuell erleben wir den Beginn eines Absturzes“, so Günther. Die Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser hätten den tiefsten Stand seit mehr als zwanzig Jahren. Im mehrgeschossigen Wohnungsbau – also bei den Miethäusern – seien im ersten Halbjahr lediglich 57.300 Wohnungen genehmigt worden – 42 Prozent weniger als noch in der ersten Jahreshälfte 2022.
Dem Bau drohe eine Pleitewelle: Die Insolvenzen im Baugewerbe sind, so das Pestel-Institut, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres bereits um 58 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2021 angestiegen. Insgesamt hätten bis Mai dieses Jahres 1.157 Unternehmen des Baugewerbes Konkurs angemeldet. „Es kommt jetzt darauf an, gegenzusteuern“, sagt Pestel-Institutsleiter Matthias Günther.
Deutlich wird auch die Bau-Gewerkschaft: „Der Wohnungsbau ist auf der Rutschbahn. Ein ‚Konjunkturprogramm Wohnen‘ ist die Notbremse, die jetzt gezogen werden muss“, sagt IG BAU-Chef Robert Feiger. Es gehe mittlerweile darum, die „in zehn Jahren aufgebaute Wohnungsbau-Kapazität nicht zu verlieren“. Der Bau habe in den letzten Monaten versucht, seine Leute zu halten. „Aber uns drohen weitere Entlassungen“, sagt Robert Feiger.
Wer auf dem Bau gearbeitet habe, finde in der Regel schnell wieder eine Beschäftigung – ohne dann bei Wind und Wetter draußen arbeiten zu müssen. Der IG BAU-Chef warnt: „Wer einmal seinen Job auf dem Bau verliert, der kommt oft nicht wieder zurück. Der Absturz der Baukapazitäten kann rasend schnell gehen. Geht der Bau jetzt in die Knie, dann dauert es aber viele Jahre, bis er wieder auf die Beine kommt und das Niveau erreicht, das er heute hat.“
Es müsse allen in den Parlamenten, Regierungen und Parteien auf Bundes- und Länderebene klar sein: „Noch funktioniert der Wohnungsbau. Aber der Countdown läuft: Wird er jetzt nicht vom Staat intensiv unterstützt, ist der Neubau von Wohnungen, wie wir ihn dringend brauchen, schon bald nicht mehr machbar“, so Feiger.
Der Ruf von IG BAU und Deutschem Mieterbund nach einem „Konjunkturprogramm Wohnen“ ist unüberhörbar. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) müssten „die Zeichen der Zeit erkennen“. Sie seien jetzt am Zug, ein passendes Programm auf die Beine zu stellen. Und auch bei der notwendigen Finanzierung dafür werden Bau-Gewerkschaft und Mieterbund deutlich: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) solle sich intensiver um das „Steuerhinterziehungsloch im Bundeshaushalt“ kümmern. „Der Staat muss das Hinterziehen von Steuern effektiver verfolgen“, fordert Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. Immerhin schätze der Bundesrechnungshof den Schaden, der durch Steuerhinterziehung entstehe, auf 30 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr. „Genug Geld also, um das Problem der Wohnungsnot effektiv anzupacken“, sagt Siebenkotten.
Außerdem biete der Wohnungsbau einen enormen Vorteil: Die vom Staat in den Wohnungsbau investierten Fördersummen fließen nach Berechnungen des Pestel-Instituts zu einem Großteil über Umsatz-, Lohn-, Einkommens- und Grunderwerbsteuer wieder in die öffentlichen Kassen zurück. Matthias Günther spricht von einer „Selbstfinanzierung der Wohnungsbau-Förderung“: Beim sozialen Wohnungsbau würde etwa die Hälfte der Fördersumme über Steuern zurück in die Staatskasse fließen. Jeder Förder-Euro, mit dem der Staat den bezahlbaren Wohnungsbau unterstütze, lande am Ende zu 100 Prozent wieder in den öffentlichen Kassen. Und bei der Förderung von Wohneigentum mache der Staat sogar ein Plus: „Es fließt mehr Geld über die Finanzämter zurück als der Staat an Förderung investiert“, sagt Günther.
Immerhin leide auch der Staat unter der Wohnungsnot. Steigende Mieten würden ihn zu immer höheren Ausgaben zwingen – nämlich beim Wohngeld und bei der Übernahme der Kosten der Unterkunft. Daraus könne der Staat – und hier vor allem die Bundesregierung – nur eine Konsequenz ziehen: „Der Bund kann nur verlieren, wenn er sich weiterhin gegen ein Konjunkturprogramm für den Wohnungsbau entscheidet“, so Pestel-Institutsleiter Günther.
Deshalb müsse die Bundesregierung „das Ruder jetzt herumreißen und endlich einen effektiven Wohnungsbau-Kurs einschlagen“, fordern IG BAU und Mieterbund. Hierbei dürfe sich der Bundesfinanzminister „nicht länger hinter der Schuldenbremse oder einer vermeintlichen Wackel-Finanzierung beim Bundeshaushalt verstecken“. Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten: „Deutschland braucht ein ‚Konjunkturprogramm Wohnen‘. Und zwar nicht erst in den Wahlprogrammen der Parteien zur nächsten Bundestagswahl, sondern jetzt.“
Es gehe immerhin um ein Grundbedürfnis der Menschen: ums Wohnen. „Außerdem geht es um das Ankurbeln der Konjunktur durch den Wohnungsbau. Und auch um ein Angebot für Fachkräfte aus dem Ausland. Denn die kommen nur, wenn sie bei uns auch wohnen können – und das zu einem vertretbaren Preis. Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Und es fehlen Sozialwohnungen. Eigentlich müsste schon der Konjunkturaspekt reichen, um FDP-Chef und Bundesfinanzminister Lindner zu überzeugen, den Wohnungsneubau endlich auch für seine Politik zu entdecken“, so IG BAU-Chef Robert Feiger.
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