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Versprochen - gebrochen.

Selbst sanierte Schultoiletten rutschen unter dem "Dressel-Radar" durch ...

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher und der damalige Vorsitzende der IG BAU Hamburg, Matthias Maurer, umringt von einem halben Dutzend Kolleg:innen der IG BAU. Alle lachen.
Da war die Welt noch in Ordnung - in mehr als einer Hinsicht: Peter Tschentscher im Januar 2020 auf dem Neujahrsempfang der IG BAU Hamburg (Foto: Harning).
27.04.2023
Archivmeldungen 2023

Im Januar 2020 versprach Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) auf dem Neujahrsempfang der IG BAU Hamburg ein neues Vergabegesetz - eines mit Vorbildfunktion und Tariftreueregelung. Mehr als drei Jahre und zahllose Gesprächsrunden später liegt jetzt ein Gesetzentwurf vor, der nicht mal im Ansatz hält, was Tschentscher einst verprach. Aber da war ja auch Wahlkampf.

"Hamburg macht sich zur ‚wirtschaftspolitischen Lachnummer´", wettert die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Die IG BAU Hamburg hält mit ihrem Ärger über das geplante Vergabegesetz des Hamburger Senats nicht hinterm Berg, reagiert mit Fassungslosigkeit auf das, was Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) mit Blick auf die Vergabe öffentlicher Aufträge vorhat. Sie stößt damit ins gleiche Horn wie der DGB Hamburg. Auch der äußerte erheblichen Unmut gegen das Vorhaben Dressels.

Hauptkritikpunkt der IG BAU: „Hamburg macht ein Schein-Gesetz. Denn der Senat hat die Schraube bei den Vergabekriterien extrem nach unten gedreht. Frei nach dem Motto: ‚Alles kann, nichts muss‘. Dabei darf es bei einem Vergabegesetz nur eine Richtschnur geben – und das ist der jeweilige Tarifvertrag", sagt Matthias Maurer, Tariftreue-Beauftragter der IG BAU Hamburg. Bei öffentlichen Aufträgen müsse der Lohn gezahlt werden, der im Tarifvertrag steht. Und der habe auch bei Zulagen oder Zuschlägen, bei Urlaubs- und Arbeitszeiten zu gelten. Maurer wirft dem Senat vor, den Gewerkschaften und auch denjenigen Hamburger Arbeitgebern, die sich an Tarifverträge halten, mit dem geplanten Vergabegesetz "vors Schienbein zu treten“. Maurer: „Das, was im Moment auf dem Tisch liegt, erklärt Tarifverträge zu einer netten, aber nicht notwendigen Sache. Wer will, kann den Tariflohn bezahlen. Ansonsten dürfte es auch künftig in Hamburg oft genug die unterste Lohnkante werden: der Mindestlohn“, so Maurer.

Ein etwa 60 Jahre alter Mann mit Brille und blau-weiß kariertem Hemd steht an einem Rednerpult und spricht. Beide Hände sind erhoben, am Rednerpult steht in weiß auf rotem Untergrund "23. Ordentlicher Gewerkschaftstag der IG BAU, 26.-29.09.2022 in Kassel".
Matthias Maurer von der IG BAU Hamburg - hier auf dem Gewerkschaftstag der IG BAU 2022 in Kassel.

Ein weiterer Kritikpunkt: das geplante Limit bei den Auftragssummen, dem Schwellenwert. Geht es nach dem Willen des Senats, sollen Aufträge, die das Land Hamburg vergibt, erst ab 100.000 Euro für Dienstleistungen unter das Vergabegesetz fallen. 17.000 Euro sei hier die durchschnittliche Grenze in anderen Bundesländern. „Bei Bauleistungen legt der Senat die Latte beim Schwellenwert noch höher: auf 150.000 Euro. Das ist eine Farce. Dann fallen die Arbeiten von Hamburger Handwerkern reihenweise durch die Maschen des Vergabegesetzes. Jede Sanierung von Schultoiletten rutscht so unterm Radar durch“, sagt Matthias Maurer. Der Gewerkschafter ist wütend. Von einem rot-grünen Senat hat er viel erwartet. „Aber das nicht. Mit dem geplanten Vergabegesetz werden alle Menschen veräppelt, die für gute Arbeit einen fairen Lohn bekommen wollen – nämlich den Tariflohn“, so Matthias Maurer. Er spricht von einem „zahnlosen Tiger“, den sich die Senatsverwaltung da zurechtgebastelt habe.

Alexander Kahl am Mikro auf der Bühne der Hamburger Mai-Kundgebung 2021
Alexander Kahl, Stellvertretender Vorsitzender der IG BAU Hamburg - hier auf der Hamburger Mai-Kundgebung 2021.

„Es muss reichlich Beamtenschweiß gekostet haben, ein Gesetz in die Welt zu setzen, das nur ein Ziel hat: Schlupflöcher zu schaffen, damit Tarifvereinbarungen in Hamburg keine Rolle spielen, wenn der Staat Menschen für sich arbeiten lässt“, so Alexander Kahl. Der Vize-Chef der Hamburger IG BAU spricht von einem „politischen Show-Act“. Der Senat habe ein Tariftreuegesetz versprochen, die Verwaltung habe daraus einen Papiertiger gemacht. Die IG BAU fordert den Senat auf, „dringend die Reset-Taste zu drücken“. Der Entwurf des Vergabegesetzes gehöre „schleunigst zurück auf die Schreibtische der Beamten, die das Ziel Tariftreue zu erreichen nicht nur verwässert, sondern auf nahe Null heruntergeschraubt haben“, so Kahl. Mit dem Gesetzentwurf drohe Hamburg eine „bundesweite Blamage“.

„Kommt das Gesetz durch, würde es auch künftig keine Garantie für faire Tariflöhne beim Pflastern vom Friedhofsweg, bei der Reinigung vom Standesamt oder beim neuen Anstrich von Kitaräumen geben“, sagt Matthias Maurer für die IG BAU Hamburg. Dabei sei die Lösung doch so einfach: „Das Saarland ist mit gut 990.000 Einwohnern halb so stark wie Hamburg, was die Bevölkerung angeht. Aber es ist ein Leuchtturm für Hamburg, was das Tariftreuegesetz angeht. Die Hamburger Verwaltung muss nur ‚Copy & Paste‘ machen und die saarländischen Vergaberegeln in den Norden holen. Dann haben wir das, was wir wollen und dringend brauchen“, so Matthias Maurer.

Es gehe neben den „unerträglich hoch gesetzten Schwellenwerten bei den Auftragssummen“ auch darum, andere Aspekte, die in Tarifverträgen eine Rolle spielen, effektiv im Vergabegesetz zu fixieren. Darüber hinaus sei es wichtig, Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen zu schaffen. „Ein Vergabegesetz ist nur wirkungsvoll, wenn Verstöße aufgedeckt und bestraft werden“, so Maurer. Die IG BAU Hamburg fordert Finanzsenator Andreas Dressel auf, den vorliegenden Entwurf vom Vergabegesetz umgehend zurückzuziehen. „Er muss das Papier kassieren und Menschen mit Sozialgespür in seiner Verwaltung damit beauftragen, einen neuen Anlauf zu nehmen“, sagt Hamburgs IG BAU-Vize Alexander Kahl.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher vor Teilnehmern der Hamburger Mai-Demo 2022. Er blickt sich gerade nach einem Transparent um, auf dem steht: "Hamburger Tariftreuegesetz jetzt!"
Auch auf der Mai-Demo 2022 wurde Bürgermeister Peter Tschentscher an sein Versprechen erinnert, ein wirkungsvolles Tariftreuegesetz auf den Weg zu bringen. Doch trotz zahlloser Gesprächstermine, u.a. mit Expert:innen der IG BAU, kam aus Senatskreisen bislang nur heiße Luft - und jetzt ein Papiertiger (alle Fotos: Harning).