Diskussion über das BGE: Die Reihen in den Lübecker media docks waren gut gefüllt (Foto: Harning).
22.03.2019
Archivmeldungen 2019
Schon auf dem letzten Gewerkschaftstag hat die IG BAU das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) heiß diskutiert, jetzt ist die Debatte auch in der Region angekommen: Mit einer Diskussionsveranstaltung am 16. März in den Lübecker media docks haben die fünf Bezirksverbände in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern den Startschuss zur Meinungsbildung gegeben.
Ob nun Parteien, Verbände oder Gewerkschaften: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist zwar in aller Munde, zu einem klaren "Ja" oder "Nein" aber kann sich kaum eine Organisation durchringen. Das liegt zum einen an mangelnder Information, aber wohl auch an der Dimension der möglichen Veränderung: Das BGE würde nicht weniger, als unser gesamtes soziales Sicherungssystem auf den Kopf stellen.
 

Schon vor Beginn der Veranstaltung wurde eifrig diskutiert - hier Hamburgs IG BAU-Vorsitzender Matthias Maurer mit Referentin Renate Wapenhensch.

Als offenen Diskussionspro- zess beschrieb Regionalleiter André Grundmann die Debatte zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Dass er selber kein Freund des BGE ist, ließ er mehrfach durchblicken.

Ein Meinungsbild oder gar eine Abstimmung unter den Teilneh- merInnen gab es nicht: Die IG BAU will sich für ihre Positionierung noch bis zum nächsten Gewerkschafts- tag Zeit nehmen ...

 

Inhaltlich startete der Tag mit einem Impulsreferat von Renate Wapenhensch, die leidenschaft- lich für das BGE warb.

Dafür zitierte sie unter anderem Heiner Geißler: "Wir Deutschen haben Geld wie Dreck, es ist nur falsch verteilt".

Fast 100 KollegInnen waren nach Lübeck gekommen - etwas mehr als erwartet, etwas weniger als erhofft (alle Fotos: Harning).

 
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, holte sich die IG BAU Nord für ihre Veranstaltung fachkundige Unterstützung ins Boot: Position für das Bedingungslose Grundeinkommen bezog in Lübeck Renate Wapenhensch, Mitarbeiterin des IG BAU-Bundesvorstandes. Dagegen argumentierte Ralf Krämer, Wirtschaftsexperte im ver.di-Bundesvorstand. Viele Gemeinsamkeiten fanden die beiden allerdings nicht: Während Wapenhensch das BGE in ihrem 20minütigen Impulsvortrag als überfällige "Absicherung nach unten" und als Möglichkeit einer "Rückverteilung von Reichtum" zeichnete, legte Krämer den knapp 100 ZuhörerInnen im media docks das genaue Gegenteil nahe: Da alle "sozialen" oder "linken" Modelle eines BGE bei einer Billion Euro Mehrkosten weder finanzierbar noch durchsetzbar und neoliberale Varianten nicht diskussionswürdig seien, lehne er das Bedingungslose Grundeinkommen klar ab.
 

Das Bedingungslose Grundeinkommen


Als "Bedingungsloses Grundeinkommen" (BGE) wird ein Vorschlag zur künftigen Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme bezeichnet, bei dem jeder Bürger eines Landes ohne Prüfung seiner Verhältnisse und ohne Vorbedingung ein monatliches, staatliches Grundeinkommen erhält. Während neoliberale Befürworter des BGE davon ausgehen, dass mit diesem Betrag - oft werden 1.000 Euro genannt - alle staatlichen Sozialleistungen abgegolten sind, sehen Gewerkschafter- und SozialpolitikerInnen das Grundeinkommen als Ergänzung zu Arbeitslosengeld, Rente & Co.

Und genau da liegt die Krux: Wird das BGE tatsächlich zusätzlich zu den traditionellen Sozialleistungen ausgezahlt, entstehen dem Staat hohe Mehrkosten - schon bei einem BGE von 1.000 Euro/Monat rechnen Kritiker mit rund einer Billion Euro. Selbst wenn es gelingt, Reiche und Superreiche überproportional in die Verantwortung zu nehmen wohl ein Betrag, der nur mit einer deutlich höheren Besteuerung von Löhnen realisierbar ist.

Angetrieben wird die Diskussion von der allgemeinen sozialen Schieflage, der Sanktionswut der Hartz-Gesetzgebung, aber auch von der "Digitalen Revolution", durch die langfristig der Wegfall zahlloser Arbeitsplätze befürchtet wird. Weitere Informationen zum BGE gibt es unter anderem hier, hier, hier und hier.

Auch während der folgenden, intensiven Diskussion mit den anwesenden BAU-GewerkschafterInnen löste sich diese Kontroverse nicht auf, ganz im Gegenteil: So warfen einige Redner dem ver.di-Wirtschaftsexperten vor, Finanzierungsmöglichkeiten wie die höhere Besteuerung von Reichen und Superreichen erst ganz zum Schluss seines Vortrags angesprochen zu haben - unter "ferner liefen". Mit dieser Blickrichtung, so die Kritiker, sei es kein Wunder, dass Krämer das BGE für nicht finanzierbar hält.
Und Branchensekretär Harry Gosch erinnerte daran, dass die Gewerkschaften einst für die Überwindung des kapitalistischen Systems standen. Heute führten sie "Lohnverhandlungen im umverteilungsneutralen Bereich" und gerieten vor einer Umwälzung wie dem BGE ins Zaudern.
Der Gescholtene antwortete mit dem Hinweis, dass selbst eine Verdoppelung der aktuellen "Reichensteuern" nur einen Bruchteil der Kosten decken würde - und berief sich dann auf die Internationale: "In der Fangemeinde des Grundeinkommens gibt es fast eine Art Heilserwartung nach dem Motto: das BGE löst alle unsere sozialen Probleme", so Krämer. "Aber es rettet uns kein höh´res Wesen, es bleibt immer eine Machtfrage".
 

Das BGE - eine soziale Alternative? Nach Meinung von Ralf Krämer eher der Glaube an ein "höh´res Wesen".

In seinem Referat spielte der Realismus eine große Rolle, denn eine soziale Variante des BGE würde jährlich rund eine Billion Euro kosten.

Daher plädierte Krämer dafür, die Kraft lieber in die laufenden Verteilungskämpfe zu investieren (alle Fotos: Harning).

 
Renate Wapenhensch sah sich hingegen dem Vorwurf der Naivität ausgesetzt: "Da wo ich herkomme, verdient ein Handwerker etwa 1.600 Euro netto im Monat", rief ihr ein Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern entgegen. "Unsere Fallhöhe ist also gering und wir sind uns da einig: Wenn das BGE kommt, lassen wir den Hammer fallen, nehmen die 1000,- Euro und arbeiten schwarz." Außerdem frage er sich, was denn passiere, wenn das BGE die traditionellen Sozialsysteme erst einmal gekippt hat und dann die Erkenntnis reift, "dass das mit dem Grundeinkommen doch keine so gute Idee war"? Andere Redner, wie Hamburgs IG BAU-Chef Matthias Maurer, befürchteten derweil eine Schwächung der Gewerkschaften, wenn große Teile des Einkommens nicht mehr frei verhandelt, sondern politisch festgelegt würden.
Am Ende war man sich in den media docks also vor allem darin einig, dass man sich beim Bedingungslosen Grundeinkommen nicht einig ist - aber auch darüber, dass die Diskussion unbedingt fortgeführt werden muss. Noch bis zum nächsten Ordentlichen Gewerkschaftstag in zwei Jahren hat sich die IG BAU Zeit gegeben, dieses gewichtige Thema zu diskutieren, dann will sich die Organisation auf eine Position festlegen. Wie die Debatte in der Region Nord und auch im Bezirksverband Hamburg weitergeführt wird, entscheiden die Vorstände in Kürze.

Olaf Harning