23.09.2014
Archivmeldungen 2014
Für den Flugzeugbauer ist es nur ein Anbieterwechsel, für die Reinigungskräfte von Airbus in Hamburg ein Erdbeben. Es heißt «Flexi Clean» und bedeutet mehr Arbeit in weniger Zeit.
Sie reinigen die Toiletten der Mitarbeiter, leeren die Papierkörbe, wischen Böden, Wandfliesen und Tische. Viele von ihnen arbeiten bereits seit mehr als zehn Jahren in den Airbus-Büros im Süden von Hamburg, wenn auch für wechselnde Firmen. Doch was jetzt kommt, trifft die Reinigungskräfte auf dem Werksgelände der Airbus Operations GmbH ins Mark. Offenbar soll eine zahlenmäßig unveränderte Belegschaft in geringerer Arbeitszeit mehr Leistung erbringen. Die zuständige Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ist alarmiert.

Zuvor war die Unterhaltsreinigung der Hamburger Airbus-Büros bei einer Neuausschreibung von einem Konsortium unter Führung der ISS Facility Management GmbH an den Berliner Reinigungskonzern Gegenbauer übergegangen. Etwa 130 der insgesamt 200 dort beschäftigten Putzkräfte betrifft das, und weil es dabei nicht nur um die Fortführung der bisherigen Arbeit, sondern auch um eine neue Organisationsform der Reinigung geht, befürchtet IG BAU-Branchensekretär Jörn Förster nun eine deutliche Arbeitsverdichtung. Bislang nämlich erfolgte die Unterhaltsreinigung nach einem bewährten und festen Zeitmuster, wobei einige Arbeiten täglich, andere im 14-tägigen Wechsel durchgeführt wurden.

Ab dem 1. Oktober aber, wenn Gegenbauer den Auftrag übernimmt, soll «systemorientiert» gereinigt werden. «Flexi Clean» heißt das dahinter stehende Konzept und bedeutet: Es wird nur geputzt, wenn der Verschmutzungsgrad es erfordert. Doch was sich im ersten Moment nach weniger Arbeit anhört, dürfte im realen Arbeitsgeschehen eine Mehrbelastung bedeuten. «Du machst ja nicht nur die Tür auf und guckst. Jeden Tag muss jeder in jedes Büro gehen und kontrollieren, ob etwas zu tun ist", erläutert eine Reinigungskraft, "wenn man aus der Materie kommt, weiß man: Es ist mehr Arbeit."
 
Portrait Jörn Förster

Branchensekretär Jörn Förster (Foto: IG BAU)

Mehr Arbeit, aber offenbar weniger Arbeitszeit: Wie mehrere Betroffene berichten, bemüht sich die Hamburger Niederlassung der Gegenbauer Services GmbH zwar derzeit um die Übernahme eines Teils der ISS-Beschäftigten, bietet aber statt der bisher überwiegend ganztägigen Jobs nur Teilzeitverträge für täglich vier oder sechs Stunden an. Da es andererseits keinen Hinweis darauf gibt, dass künftig mehr Reinigungskräfte zum Einsatz kommen, kann die - zumal erhöhte - Reinigungsleistung nur auf dem Rücken der Beschäftigten erzielt werden. Und weil die bei einer Ablehnung der Stelle von Arbeitslosigkeit bedroht sind, nehmen viele das Angebot an, auch wenn es nicht mehr zum Leben reicht.
Bei Gegenbauer möchte man sich zu den Vorwürfen nicht äußern. "Ich kann verstehen, dass der Vorgang ein gewisses Interesse weckt", sagt Gunther Thiele, im Unternehmen zuständig für Marketing und Kommunikation, "aber Inhalte von Kundenverträgen kommentieren wir grundsätzlich nicht." Auch der Betriebsrat des Reinigungsriesen hält sich bedeckt, kündigt eine Erklärung für Anfang Oktober an - wenn alle Messen gesungen sind. Und Airbus? Lässt von seiner Pressemanagerin Nina Ohlerich erklären, dass die "Reinigungsaktivitäten an unseren Standorten von einer externen Reinigungsfirma ausgeführt" werden. Gehalts- und Vertragsfragen könnten nur von diesen Firmen selbst beantwortet werden.

Für IG BAU-Sekretär Förster ist das nicht akzeptabel: "Hier schieben sich die Akteure gegenseitig den Ball zu, nur um keine Verantwortung zu übernehmen. Das wird den Reinigungskräften, die bei Airbus jeden Tag für Ordnung sorgen, nicht gerecht." Außerdem kritisiert der Gewerkschafter, dass Gegenbauer offenbar nur befristete Jobs bietet, das Ganze nach dem Motto "Friss oder stirb!" Um die Vorwürfe zu klären und die Betroffenen zu unterstützen, hat Förster jetzt einen Brief geschrieben: Darin fordert er den zuständigen Geschäftsführer bei Gegenbauer zu einer menschenwürdigen Behandlung all jener auf, die für nicht weniger zuständig sind, als dem Flugzeugbauer mit ihrer Arbeitskraft einen reibungslosen Ablauf zu ermöglichen.

Das Beispiel Airbus hat für die Reinigungsbranche in mehrfacher Hinsicht Symbolcharakter. Erstens verneinen Arbeitsgerichte bei derartigen Anbieterwechseln regelmäßig einen Betriebsübergang, so dass die Beschäftigten entweder nicht übernommen werden oder dabei sämtliche Anwartschaften verlieren. Zudem testet die Branche seit Jahren immer neue Formen der Arbeitsverdichtung, um den mühsam erkämpften Mindestlohn von heute 9,31 Euro pro Stunde wieder einzuspielen.

Immerhin: Am Donnerstagmittag signalisierte Gegenbauer Gesprächsbereitschaft. Am kommenden Montag will man sich mit der IG BAU an einen Tisch setzen, um über die Lage der betroffenen Reinigungskräfte zu sprechen.


Dieser Artikel erschien zunächst in der Berliner Tageszeitung "Neues Deutschland".