Workers´ Memorial Day
Die Würde des Menschen ist unantastbar - für ein Recht auf Unversehrtheit
So sieht die Idealvorstellung aus, und so geschieht es auch bei der großen Mehrheit der Beschäftigten. Doch nicht Jeder oder Jede verlässt den Arbeitsplatz unversehrt. Noch immer passieren Arbeitsunfälle – und immer noch zu viele! Wir haben exemplarisch mit zwei Betriebsräten über ihre Erfahrungen gesprochen.
Gut, aber noch Luft nach oben
Einer, der sich auf deutschen Baustellen gut auskennt, ist Mehmet Perisan. Der 48-Jährige hat 1997 angefangen auf dem Bau zu arbeiten, mittlerweile ist er freigestellter Betriebsrat bei Hochtief. Darüber hinaus ist er Mitglied der IG BAU-Bundesfachgruppe gewerbliche Arbeitnehmer*innen im Bauhauptgewerbe.
„Im Vergleich zu früher hat sich beim Arbeits- und Gesundheitsschutz schon viel getan, besonders bei den großen Unternehmen.“ Risikobewertung, Prävention, Gesundheitsförderung und vieles mehr haben sich die Unternehmen auf die Fahne geschrieben. „Natürlich machen die das, um ihre Beschäftigten vor Verletzungen zu schützen. Darüber hinaus können sie sich gerade in Zeiten von Fachkräftemangel erst recht keine Ausfälle wegen Krankheit leisten.“ Aber auch das Bewusstsein bei den Beschäftigten hat sich geändert. Vorschriften werden – in den meisten Fällen – eingehalten, man will mit heiler Haut nach Hause kommen. Doch warum passieren dann immer noch so viele Unfälle?
Mehmet nennt als einen Grund die Arbeitsverdichtung. „Weniger Leute, gleiche Arbeit, mehr Stress“, bringt er es kurz und knapp auf den Punkt. Und gerade am Bau dauert die Schicht oft länger als der Acht-Stunden-Tag in einem Büro. „Die Kolleginnen und Kollegen müssen oft weite Anfahrtswege in Kauf nehmen, bevor sie überhaupt auf der Baustelle sind. Da kommen oft insgesamt zehn oder elf Stunden Arbeitszeit zusammen.“
Und auch wenn in Deutschland in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz schon einiges geregelt ist, sieht Mehmet noch viel Raum für Verbesserungen. Da Hochtief international aufgestellt ist, kennt er Vorschriften aus vielen Ländern. Zum Beispiel aus den USA – ein Land, das eigentlich nicht für gute Arbeitsbedingungen bekannt ist.

„Da steht auf jeder größeren Baustelle ein Zelt, in dem die Arbeiter*innen bei Hitze einen Schattenplatz finden.“ Zudem gäbe es jeden Morgen verpflichtende Besprechungen über die anfallenden Arbeiten, und welche Sicherheitsmaßnahmen dafür einzuhalten sind. In anderen Ländern werde bei Ausschreibungen auch darauf geachtet, wie viele Arbeitsunfälle es in einem Unternehmen gab. Zu viele bedeutet: kein Auftrag. Nachahmenswert!

Knochenjob geht an die Substanz
„Natürlich leidet der Körper unter dem Job.“ Gerlinde Mutz ist sich dessen bewusst. Die Gebäudereinigerin weiß, dass ihre Arbeit für ihre Gesundheit und die ihrer Kolleg*innen schädlich sein kann. Immer die gleichen Bewegungen, immer die gleichen Belastungen. „Wenn du das so lange wie ich machst, hast du Sorge, dass du krank wirst.“
20 Jahre hat sie selbst ihre Knochen hingehalten, mittlerweile ist sie freigestellte Betriebsrätin. Und auch als Mitglied der IG BAU-Bundesfachgruppe Gebäudereiniger-Handwerk weiß sie um die Ängste der Reinigungskräfte. „Da geht es weniger um Arbeitsunfälle als vielmehr um dauerhafte Beeinträchtigungen.“ Hinzu kommen Arbeitsverdichtung und damit einhergehender Stress. „Du bist immer auf Trab. Wenn du denkst, du liegst gut in der Zeit, passiert doch noch etwas.“
Besonders in der Reinigung eines Krankenhauses, wo Gerlinde tätig ist. Gerade hier ist es besonders wichtig, Vorschriften penibel einzuhalten – zum Schutz der eigenen Person wie auch der der Patient*innen. Letztere und deren Angehörige wissen manchmal die wichtige Arbeit der Reinigungskräfte nicht genug zu schätzen. Im Gegenteil. „Der Umgangston ist von Zeit zu Zeit ein wenig rau. Aber komische Leute, die sich für etwas Besseres halten, gibt es überall.
Dennoch: Mehr Wertschätzung würde sie sich für die Reinigungskräfte wünschen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ – auch am Arbeitsplatz.
Laut einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) aus dem Jahr 2023, verloren weltweit nicht nur fast drei Millionen Arbeitnehmer*innen ihr Leben, weitere 395 Millionen erlitten Arbeitsunfälle. Das bedeutet, dass Millionen von Menschen allein durch die Ausübung ihrer Arbeit Verletzungen und Krankheiten ausgesetzt sind.
Laut Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) ereigneten sich im Jahr 2023 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) auf Baustellen und im Bereich der baunahen Dienstleistungen in Deutschland insgesamt 96153 meldepflichtige Arbeitsunfälle, 76 Beschäftigte sind bei einem Arbeitsunfall am Bau ums Leben gekommen.
Für die Land- und Forstwirtschaft dokumentierte die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) 57 608 Unfälle, 125 Personen starben bei der Arbeit.
Christiane Nölle
Dieser Artikel erschien zunächst in der März-Ausgabe von "Der Grundstein/der Säemann". Wir danken für die Erlaubnis zur Nachveröffentlichung!